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profile_magazin_14_2015

16 Interview dann sagt man sich: »Was ist wirklich wichtig?« P R O F I L E : Was ist es denn, was der Mensch zum Leben braucht? K a r i n Fr i c k : Es ist ganz schwierig, das von außen fest- zulegen, und es ist auch je nach Kultur unterschiedlich. Was zum Beispiel in der Schweiz als Minimum ange- setzt wird, gilt in anderem Kon- text, in anderen Ländern, als reich. Ich denke, das Minimum muss man definieren in Rela- tion zum Maximum. Materiell lässt es sich natürlich festlegen – Essen, eine Unterkunft, ein Bett –, aber wir leben ja in ei- nem bestimmten kulturellen Umfeld. Das Minimum ist auch abhängig von dem, was in einer Kultur gelebt wird. Nicht dabei sein zu können beim Konzert, bei einer Sport- art, beim Restaurantbesuch, schließt einfach aus. Diese Mo- mente sind schwer zu beziffern. P R O F I L E : Aber haben der Wunsch auf Verzicht und die Sehnsucht nach Einfach- heit nicht mit einem generel- len Wertewandel zu tun? K a r i n Fr i c k : Ja, natür- lich, sie sind ein Merkmal einer reifen Kultur. Der Westen ist auf einem ziemlich hohen ge- sellschaftlichen Niveau ange- siedelt. Wenn es einem leib- lich an nichts fehlt, dann versucht man, sich durch Askese und Verzicht mental zu transformieren, anstatt wei- tere Reichtümer anzuhäufen. P R O F I L E : Wie reagiert die Wirtschaft auf diese Entwicklung? K a r i n Fr i c k : Die Wirt- schaft reagiert im Moment da- rauf, indem sie auf die Wachs- tumsmärkte ausweicht, auf die Länder, in denen der Hun- ger nach materiellem Luxus noch groß ist. Sie orientiert sich an diesen aufstrebenden Märkten. Allen voran die gro- ßen Hersteller. Das zweite ist, dass sie mit Liebhaberobjek- ten, handgemachten, kunst- gefertigten und regionalen Produkten neue Angebote schafft. Wichtig ist auch, Pro- dukte durch »Erleben« zu er- setzen. Zum Beispiel die Über- nachtung in der Berghütte oder eine Wochentour mit Bergführer in den Alpen hat dann einen viel höheren Stel- lenwert als die Übernachtung in Dubai, und Sie gewinnen damit auch einen viel höheren gesellschaftlichen Status. Hier in Europa entstehen solche Angebote, bei denen das Er- lebnis im Vordergrund steht und weniger der materielle Protz. Wobei man sagen muss, dass der Anspruch an die Produkte gestiegen ist; wenn man reduziert, wird das Maximum gefordert von dem Wenigen, das man hat. Beim Wenigen erwarte ich dann na- türlich eine hohe Qualität. P R O F I L E : Von der voll- automatisierten Gebäude- technik bis hin zur »intelli- genten« Fassade: Wo sehen Sie im Bauwesen die Grenze zwischen dem Nützlichen und dem Einfachen? K a r i n Fr i c k : Im Moment kann man die Technik noch se- hen. In naher Zukunft werden aber all diese Dinge »unsicht- bar« sein, ganz in den Wänden verschwinden. Sie werden dann ganz einfach mit dem Smartphone bedient und re- guliert. Im Moment ist das Technische noch sehr domi- nant in der Wahrnehmung. Das wird sich aber ändern. Seien wir ehrlich: Auch das Selbstversorgerleben ist, wie ich behaupten würde, nicht »einfach«. Der Alltag unserer Ureltern war, mangels techni- scher Hilfsmittel, mit Sicher- heit nicht leicht. Das so ge- nannte einfache Leben wird oft falsch eingeschätzt; unsere Häuser sind geheizt. Das Feuer zu machen oder die Wäsche zu waschen, das war früher auf- wendig und kompliziert. Die Mehrtechnik, die wir heute ha- ben, hat also letztendlich unser Leben wesentlich vereinfacht. P R O F I L E : Steve Jobs hat gesagt: »Einfachheit ist die höchste Form der Raffinesse.« Das Design von Apple beweist das. Was hat Jobs anders gemacht als seine Mitbewerber? K a r i n Fr i c k : Jobs gab schon seinem Mac eine einfa- che Benutzeroberfläche. Das ist der Punkt. Für die komplexe Technik brauchen wir ein Inter- face, das einfach zu bedienen ist. Oder das Internet: Früher konnten damit nur Computer- freaks etwas anfangen. Mit der Einführung des ersten Brow- sers wurde es für jedermann bedienbar. Steve Jobs hat die Bedienbarkeit in das Design in- tegriert. Von den vielen Knöp- fen zu dem einen Knopf. Gute Einfachheit ist komplex! P R O F I L E : Leben Sie »Einfachheit«? K a r i n Fr i c k : Nein, ich lie- be Komplexität und ich schät- ze Kreativität, Stichwort »krea- tives Chaos«. Ich bin auch der Mensch, der 100 Webseiten aufmacht und Dokumente of- fen lässt. Ich fühle mich wohl dabei und finde mich eigent- lich ganz gut zurecht. Karin Frick ist Leiterin Research und Mitglied der Geschäftsleitung des Gottlieb Duttweiler Instituts in Zürich. Als Ökonomin erforscht und analysiert sie Trends und Gegentrends in Wirtschaft, Gesellschaft und Konsum. Karin Frick studierte an der Universität St. Gallen (HSG) und war u.a. als Chefredakteurin der Viertel- jahresschrift GDI-IMPULS und als Geschäftsführerin der Schweizerische Vereinigung für Zukunftsforschung (SwissFuture) tätig.

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