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Innovationen

Wiederverwendung von Baumaterial

RotorDC ist ein Designkollektiv, das sich mit der Gestaltung der materiellen Umwelt beschäftigt. Eva Herrmann im Gespräch mit Victoria van Kan, die seit 2019 für RotorDC arbeitet.

PROFILE: Warum hat Rotor – ein Architekturbüro – eine Firma für den Rückbau gegründet?


Victoria van Kan: Rotor wurde 2005 initiiert von Menschen, die das Interesse an der Erforschung von Abfallmaterialien, Materialflüssen und dem Alterungsprozess von Materialien in der Bauindustrie teilten. Seitdem arbeitet Rotor auf verschiedenen Ebenen an den Themen (kulturell, technisch, rechtlich ...), aber auch durch gestalterische Interventionen, Planungshilfe, Ausstellungen, Publikationen, Konferenzen, in Lehre und Forschung. 2016 entstand RotorDC aus dem Antrieb heraus, die Praxis der Wiederverwendung, im Speziellen in den Städten, zu verbreiten und zu fördern. »Re-use« war bis ins 19. Jahrhundert eine gängige Praxis, die jedoch im Zuge der Industrialisierung, Techniken für Abrissverfahren, der Entwicklung billiger Materialien und der Arbeitskraft fast, aber nicht vollständig, verschwunden ist. Wir haben festgestellt, dass die Materialien, die noch auf dem Rückgewinnungsmarkt zu finden sind, größtenteils Materialien sind, die vor den 50er-Jahren hergestellt wurden. RotorDC konzentriert sich auf den Rückbau moderner Gebäude und befasst sich auf diese Weise mit der aktuellen Abbruchpraxis.

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Das Materiallager von RotorDC ist eine Sammlung von einzigartigen Materialien und Bauteilen, die aus abbruchreifen Gebäuden gerettet wurden und nun auf die Wiederverwendung warten.
Ceramic tiles in acid bath
Die oft sehr hochwertigen oder mit besonderen Technologienhergestellten Elemente werden wieder in den Materialkreislaufeingegliedert und zur Wiederverwendung aufbereitet.
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PROFILE: Wie funktioniert RotorDC? Wie kommen Sie an das Material? Wie organisieren Sie Logistik, Wiederaufbereitung, Vertrieb?
RotorDC tritt in der Zeitspanne zwischen dem Moment, in dem ein Eigentümer sein Baumaterial »loswerden« will, und dem Zeitpunkt vor dem Wiedereinstieg in ein neues Bauprojekt auf den Plan. Das Material stammt von Abbruchstellen oder wird von Privateigentümern angeliefert, lokal aus dem Umfeld von Brüssel. Vor Beginn der konventionellen Abbrucharbeiten werden die Elemente sorgfältig demontiert, für die Wiederverwendung vorbereitet und verkauft. RotorDC organisiert die Lagerung, den Transport, die Inventarisierung, die Sortierung, die Beseitigung möglicher Rückstände, die Verpackung, die Dokumentation und die Kommunikation. Keramikfliesen werden zum Beispiel in Säurebäder getaucht, um Mörtelrückstände zu lösen und die Fliesen für die Präsentation vorzubereiten, und anschließend in unserem Ausstellungsraum per Quadratmeter verkauft.

PROFILE : Wer sind Ihre Kunden?
Wir haben sowohl private als auch professionelle Kunden. Bauunternehmer, Architekten – oft zusammen mit ihren Kunden –, aber auch neugierige Nachbarn ...

PROFILE: Wie überzeugen Sie große Unternehmen wie Bauherren und Immobiliengesellschaften, Zeit und Geld in recycelte Bauteile und in die Wiederverwendung zu investieren?
Die belgische Regierung forciert die Wiederverwendung öffentlicher Gebäude, was für die dynamische Entwicklung positiv ist. Aber wir stoßen immer wieder auf Herausforderungen mit großen Unternehmen, z.B. wenn wegen nicht übereinstimmender Verkaufskonditionen Zugeständnisse gemacht werden müssen. Oft fehlen die technischen Unterlagen zu den wiederverwendeten Elementen. An dieser Stelle muss man sich auf die Erfahrung und das Know-how von Fachhändlern verlassen, die die Qualität der Materialien erkennen und bewerten.

PROFILE: Welche Materialien sind am meisten gefragt/verkaufen sich am besten?
Die absoluten Verkaufsschlager im Winter sind unsere Beleuchtungskörper. Die meisten unserer Beleuchtungen werden in unserer Werkstatt den heutigen Normen entsprechend überarbeitet. Wir haben festgestellt, dass es eine große Nachfrage nach aufgearbeiteten Böden und Wänden aus Naturstein (Marmor, Terrazzo, Kalkstein), aber auch nach preisgünstigen Materialien wie Teppichfliesen gibt. Überraschenderweise sind in der Ära des Homeoffice Glastrennwände, die früher zugunsten offener Büroräume abgebaut wurden, wieder in. Eine Wiederverwendung ist immer einfacher, wenn sie in großen Mengen erfolgt, in Bezug sowohl auf die Konstruktion als auch auf die Inventarisierung. Große Chargen sind zum Beispiel in großen Bürogebäuden zu finden, wo in jedem Stockwerk 20 Türen des gleichen Typs existieren. Wenn wir über 30 Schreibtische mitnehmen, sortieren wir sie vielleicht in Qualität A und B und versuchen das Produkt so genau wie möglich zu beschreiben.

PROFILE: Wo werden Sie in zehn Jahren stehen?
Ich könnte Ihre Frage sehr wörtlich nehmen und antworten, dass wir hoffen, in zehn Jahren (immer noch) im Stadtzentrum zu sein, was ein sehr wichtiger Aspekt unserer Tätigkeit ist. Heute besetzen wir ein provisorisches Lager und einen Hof in der Nähe des Zentrums von Brüssel. Denn uns gefällt der Gedanke, dass die in der Stadt gewonnenen Materialien in der Stadt bleiben und dass die Rückgewinnungsaktivitäten in der Stadt stattfinden können, anstatt wie bei vielen Wiederverkäufern dezentral auf dem Lande. Bis jetzt hat RotorDC damit experimentiert, sich im politischen, wirtschaftlichen und baulichen Umfeld zu positionieren, und beginnt nun langsam, Wurzeln zu schlagen. Noch ist es nicht ganz klar, welche genaue Richtung RotorDC einschlagen wird. Vielleicht wird es mehrere Modelle von RotorDC geben. Vielleicht spezialisiert sich RotorDC auf bestimmte Materialien und überlässt den Restdafür spezialisierten Wiederverkäufern. Der Rückgewinnungsmarkt wächst schnell, worüber wir sehr froh sind.

PROFILE: Wie wird das Bauen der Zukunft sich verändern?
Ich glaube, in einigen Jahren wird vor dem Abriss eines Gebäudes systematisch eine Diagnose der Wiederverwendbarkeit verlangt werden. Und es könnte sogar notwendig werden, zu rechtfertigen, warum ein Material nicht wiederverwendet wurde, wenn bekannt ist, dass es eine Nachfrage danach gibt! Architekten und Bauherren würden sich der Materialressourcen bewusster werden und vielleicht sogar ermutigt werden, reversibel zu bauen, so dass ein Rückbau immer wieder möglich ist.

PROFILE: Auch bei RotorDC arbeiten Sie an Projekten, die sich mit dem zirkulären Bauen befassen. Was ist Ihre Strategie, wenn Sie ein neues Projekt beginnen?
Wir glauben fest an das Kollektiv, daher gibt es nie nur einen Standpunkt. Was aber immer wieder auftaucht, ist die Neugier auf die Komplexität der materiellen Umwelt in all ihren Facetten. Es gilt zu experimentieren und daran zu glauben, dass es immer eine Lernkurve daraus gibt. Neben der theoretischen Auseinandersetzung mit dem vorhandenen Bestand passiert dies auch in einer praktischen, einfachen Weise.